Januar startete super – über Sylvester waren wir in Dörtes Haus in den Dolomiten. Auf der Rückseite des Berges auf dem das Haus steht beobachteten wir schon seit dem Herbst einen großen Zapfen der über ein Dach herunter zu wachsen begonnen hatte. Normalerweise läuft man da etwa 20 Minuten hin, es hatte aber so viel Schnee, dass die Fortbewegung beim ersten Mal eher Schwimmen denn Laufen glich. Ist man mal dort, seilt man zwei Längen durch einfaches Gelände und dann etwa 60m erst durch sehr steiles Eis, und dann am gut 15m frei hängenden Zapfen und einem 10m-Dach vorbei in einen Schlund. Von dort geht es dann erst eine anspruchsvolle Länge durchs Eis zurück unter das Dach und dann durch das Dach an den Zapfen. Das Dach ist super, weil sich weite Hookzüge und immer wieder Eisnester abwechseln. Nach 2 Tagen Arbeit hatten wir zuerst einen Gang gegraben und dann die Route eingerichtet. Am dritten Tag schließlich konnten wir beide die Route klettern. Weil in Venetien zu dem Zeitpunkt das Haus nur aus triftigen Gründen verlassen werden sollten, tauften wir die Route „Motivo valido“.
Weiter ging es wenige Tage später mit einer neuen Dryroute in Tom Ballards Tomorrow world, eine Verlängerung einer bestehenden Linie, die wir zuerst einbohrten und dann kletterten.
Zurück im Allgäu entdeckten wir einen Direktzugang von unserem Haus zu einem benachbarten Tobel. Das Voralpenland im Allgäu besteht unterirdisch vor allem aus Moränendreck, der ein oder andere Geologe hat sich in der Vergangenheit dazu hinreißen lassen das Konglomerat oder sehr verwegen „Gestein“ zu bezeichnen. Wir stellten fest, dass wenn sie gefroren sind, die Überhänge in diesem Tobel tatsächlich gesteinsähnliche Konsistenz annehmen. Also erschlossen wir uns dort einige Mixedkletterrouten mit bis zu 35m Länge und überwiegend mit spannenden eisigen Ausstiegen. Dörtes Hauptwerk wurde „Fliegender Tobelzirkus“ getauft, mein dickstes Brett war „Der Löwe und das Biest“. Am oberen Gaisalpfall richteten wir danach noch die perfekte Mixed-Länge „Tripsicle“ ein und in einem kurzen Abstecher in die Schweiz konnten wir die phantastischen Verhältnisse in „Damokles“ nutzen.
Im Frühjahr ging es wieder ans Jesuswandl, Dörte hatte da noch eine Rechnung offen. Nach den ersten Tagen kam es zu der Ausnahmesituation, dass ich zuerst punkten konnte und Dörte fühlte sich unter Zugzwang gesetzt. An ihrem 40. Geburtstag verbrachten wir das erste Mal mehr als 3 Stunden an der Wand und Dörte jagte einen Versuch nach dem anderen in die Tour. Ab dem 6. Versuch war klar, dass es sich nur noch um Trainingsgo´s handelt – ich hatte immer genau drei realistische Versuche pro Tag – und im 8. Go schließlich konnte sie das Ding dann relativ unspektakulär klettern. So irre viele Begehungen hat „Monoattacks“ noch nicht und vermutlich außer der von Melissa keine Frauenbegehung. Auch gibt es noch nicht sooo viele deutsche Frauen, die diesen Grad geklettert sind, zwei oder drei vielleicht. Und sicher keine über 40. Also ein ganz nettes Geburtstagsgeschenk.
Eigentlich wollten wir schon seit einer Weile in die USA, aber zuerst hatten die dort ja noch Trump und dann Corona – also auch 2021 wieder keine Chance für uns. Deshalb disponierten wir zu entspanntem Sportklettern auf Sardinien um. Nach einigen wirklich chilligen Tagen wollten wir uns auf dem Heimweg mal das berühmte „Hotel Supramonte“ ankucken, ein Projekt, dass ich fast seit dem Tag seiner Erstbegehung auf meiner Liste habe. Der erste Tag war ziemlich niederschmetternd, am zweiten Tag konnten wir schon fast alles klettern, am dritten Tag machten wir einen taktischen Fehler, weil es schon ziemlich heiß war aber am vierten Tag konnten wir dann alles klettern. Alles klettern bedeutete in dem Fall, dass wir abwechselnd vorstiegen, aber auch der Nachsteiger jede Länge frei klettern musste. Das Biwakzeug hatten wir vorsorglich mal dabei, aber nachdem wir gegen 14.00 Uhr schon am Gipfel waren konnten wir noch ganz entspannt abseilen, rauslaufen und am nächsten Tag die Fähre nach Hause nehmen.
Danach ging ernste Arbeit weiter. Bereits im Juli und August 2020 hatten wir an der Marmolata eine neue 10-Sl-Route eingerichtet. Den ganzen Herbst hatten wir in den Längen gearbeitet aber ein Durchstieg erschien weit hinter utopisch. Leider lag bis lang ins Frühjahr so viel Schnee, dass wir erst spät die Arbeit in der Route wieder aufnehmen konnten. Die Fixseile hatten wir im Herbst hängen gelassen, die Bewegungsabfolgen aller Längen waren notiert und so konnten wir fast dort wieder anfangen wo wir aufgehört hatten. Das Wetter war mitteloptimal aber fast an jedem freien Wochenende fand sich ein Tag an dem wir in der Route trainieren konnten. Sukzessive punkteten wir die einzelnen Längen, irgendwann konnte Dörte zum ersten Mal auch die Schlüssellänge klettern. Erst im August und am letzten möglichen Wochenende in dieser Saison gelang auch mir zum ersten Mal die Schlüssellänge und wir nutzten die Chance und hängten noch alle anderen Längen am gleichen Tag dran. In diesem Fall wechselten wir uns bei den „leichteren“ Längen mit dem Vorsteigen ab, wobei auch der Nachsteiger alle Längen frei kletterte, die Schlüssellänge kletterten wir beide im Vorstieg.
Insgesamt waren wir weit über 30 Tage in der Wand und ich bin nie schwerer geklettert und weiß auch nicht ob ich nochmal so viel Zeit in eine einzige Route stecken möchte. Ich glaube auch nicht, dass ich die gleichen Längen im Klettergarten an einem Tag klettern könnte. Aber da oben pumpt einem das Adrenalin die Motivation schon auf einem ganz anderen Niveau durch die Adern. Angelehnt an Mario Draghis Aussage, aber auch an das Lied von den Imagine Dragons, tauften wir die Linie „Whatever it takes“.
Text: Daniel Gebel
Fotos: Daniel Gebel & Silvan Metz
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