Hoch Tirol – die „Haute-Route“ Österreichs
Eigentlich ist die Hoch-Tirol eine 6-Tages Ski-Durchquerung von Kasern im Ahrntal/Südtirol bis zum höchsten Berg Österreichs, dem Großglockner (3.798m). Von Hütte zu Hütte, jeden Tag ein neuer Gipfel in beeindruckender Landschaft, nachmittags dann gemütlich bei einem Kaffee und Apfelstrudel oder Bier und Suppe in der Sonne sitzen und den nächsten Tourentag planen – so schön könnte so eine Mehrtagestour eigentlich sein!
Schon auf dem „Langen Weg“ 2018 von Wien nach Nizza bin ich durch das Großvenediger-Großglockner-Gebiet gekommen und auf die Tour aufmerksam geworden. Als mich dann letzten Herbst mein französischer Freund Francois d’Haene gefragt hat was ich diesen Winter so vor habe, habe ich einfach spontan Hoch-Tirol gesagt. Ohne zu zögern meinte er dann nur: „Wow, great, I come with you!“
Und so haben auch wir die HT geplant, jedoch nicht in 6 Tagen:
100km & ca. 10.000m+ in 24h non-stop– so der Plan!
Die direkte Ski-Verbindung von Großer Geiger (3.360m), Großvenediger (3.657m) und Großglockner (3.798m) - für so ein Unternehmen braucht man wirklich sichere Schneeverhältnisse, stabiles Wetter und auch halbwegs schnelle Bedingungen! Und somit war die erste Hürde ein Zeitfenster zu finden in dem alle (Francois, die Crew und ich) Zeit hatten und dieses dann mit zunehmender Treffsicherheit der Wettervorhersage einzugrenzen – bei der windigen Wettergroßlage derzeit gar nicht so einfach!
Die Wahl fiel auf den Rosenmontag und da ich gerne im letzten Tageslicht auf dem Venediger und mit dem Sonnenaufgang auf dem Glockner stehen wollte, war die Startzeit euch ziemlich human: 8:30 Uhr in Kasern. Doch wie das halt so ist, wird noch beim Bäcker stehen geblieben, alle müssen nochmal aufs Klo und der Tank ist schon wieder leer – Start: 9:20 Uhr.
Du weist, dass du die nächsten 24h draußen unterwegs sein wirst und der Regen rinnt dir gleich zu Beginn das Gesicht herunter. Die ersten 3.5h bis zur Essener-Rostocker Hütte waren von starkem Sturm, kaum Sicht und einem Eisregen-Gesichtspeeling geprägt und so wurde auf der Hütte dann statt einem kurzen Boxenstopp doch eine längere Mittagspause. Egal, dann „müssen wir halt einfach schneller gehen“. Nach zu viel Bergsteigeressen, Pasta und Kaffee ging es unserem ersten großen Gipfel entgegen – der Große Geiger hieß uns mit viel Sturm aber nun endlich blauem Himmel am Gipfel willkommen! Auch in den Hochlagen ist der Schnee oftmals Mangelware und so war die Abfahrt auch eher eine Slalomfahrt zwischen den Steinen.
Johannishütte – Defreggerhaus – Großvenediger: nachdem unsere Begleiter uns verlassen hatten, versuchten Francois und ich noch das letzte Tageslicht einzuholen, aber leider war es schneller die steilen Felswände hochgeklettert als wir die letzten 1500m+ im Licht erklimmen konnten. Nach der 17km langen Abfahrt von Salzburgs höchstem Gipfel gab es erst einmal Knödel und Kaiserschmarrn im Matreier Tauernhaus, wo die gesamte Crew schon auf uns wartetet. frisch getapet und gestärkt und nach 30min Schlaf wären wir dann beinahe doch liegen geblieben. Insgesamt 2h Boxenstopp, aber es half ja nichts: Auf in die sternenklare Nacht und weiter bis zur Ruhdolfshütte, noch ca die Streckenhälfte, also 5.000m+ warteten.
Irgendwie konnte ich nichts mehr Essen – naja, um 2 Uhr früh macht der Körper ja sonst auch andere Dinge – und die Energie in den Beinen wurde immer weniger – zumindest bei mir! Und so überzeugte ich Francois noch einen kurzen Power-Nap in der Ruhdolfshütte zu machen. Um 3 Uhr früh fanden wir einen Eingang (wie verrate ich nicht) und legten uns zwischen alten Pommes, abgebissenen Würsteln und ich-will-es-eigentlich-nicht-wissen Zeugs einfach auf den Restaurantboden – so fertig waren wir! Nach ein paar Minuten aber mit dem Gefühl wenigstens in der Nacht ein bisschen geschlafen zu haben ging es weiter – dem technisch anspruchsvollsten Teil entgegen.
Im ersten Morgengrauen suchten wir uns einen Weg bis zum Fuß des Johannisbergs, umfuhren ihn in traumhaften goldenen Morgenlicht und stiegen zu den Romariswandköpfen auf. Eine laaaange Gratkletterei im 3-4. Schwierigkeitsgrad komplett übermüdet und richtig fertig ist echt eine Konzentrationssache aber der einzig mögliche Übergang zum Großglockner.
Die Uhr zeigte mittlerweile über 8.600m+ an, so viel hatte ich in meinem Leben noch nie gemacht und dementsprechend war ich auch extrem „Banane“: 10 Schritte gehen, sich in die Stecken fallen lassen, hoch schauen, wieso kommt der Gipfel nicht näher und dann alles wieder von vorne. Es ist wirklich interessant, dass der Kopf den Körper so überlisten kann, aber wenn der sich eigentlich mit allem was er zur Verfügung hat wehrt einen einzigen Schritt weiter zu gehen.
Wieder eine wingepresste ruppige Abfahrt, der finale Übergang zum „Glocknergletscher“ und die letzten Meter hinauf zur Adlersruhe wo unsere Crew schon auf uns wartete. Am liebsten wäre ich einfach sitzen geblieben, aber ich kann ja jetzt nicht 26h unterwegs gewesen sein und dann das finale Ziel nicht erreichen. Also Steigeisen an und die letzten 300m in Angriff nehmen! Ich war so froh als wir endlich am 3.798m hohen Gipfel angekommen sind. Geschafft. Es ist vorbei! Fast zumindest – die Abfahrt im totalen Whiteout war nochmal das Sahnehäubchen eines irren Abenteuers im österreichischen Hochgebirge.
Fotos: Martina Valmassoi, Philipp Reiter, Daniel Keppler, Harald Wisthaler
Text: Philipp Reiter
Ihr Warenkorb ist leer.