Als Bergführer verbringe ich einen Großteil der Wintertage auf Tourenski. Egal ob Anfängerkurse, geführte Skihochtouren über Gletscher, oder Durchquerungen von Hütte zu Hütte. Ende März war ich mit einer geführten Gruppe im Ortlergebiet unterwegs. Wir starteten am Morgen um 8.30 Uhr in Sulden, mit der Seilbahn hinauf zur Schaubachhütte, gingen über die Suldenspitze zur Cassati Hütte und fuhren mit den Ski zur Pizzini Hütte, unterhalb der Königsspitze, ab. In Summe waren das ungefähr 800 Höhenmeter in eher leichtem Skitourengelände. Angekommen auf der Hütte tranken wir, wie es sich gehört, einen sehr leckeren italienischen Cappuccino. Stolz wie Oscar waren wir, die Etappe geschafft zu haben. Die Gespräche drehten sich um die begangene Tour und meine sehr netten Gäste fragten mich, wie viele Höhenmeter ich an einem Tag mit den Tourenski laufen könne.
Ich erzählte Ihnen dann die Geschichte der Patrouille des Glaciers (PdG), eines der härtesten und längsten Skitourenrennen der Welt: Entstanden ist es am Ende des Zweiten Weltkrieges mit dem Ziel der Mobilmachung der Schweizer Armee. Um die Tauglichkeit und das Durchhaltevermögen der Gebirgsjäger zu testen, entschied ein Offizier, das nun alle Soldaten, in Dreierteams, welches eine Patrouille genannt wird, eine Skitour von Zermatt nach Verbier unternehmen müssen. Das sind nicht weniger als gute 60 Kilometer Distanz mit 4300 Höhenmeter in hochalpinen, vergletschertem Gelände, in welchem die Teilnehmer auf bis zu 3600 Meter Höhe hinauf kommen. Dieser Testlauf wurde einige Male wiederholt bis im Jahre 1949 eine Patrouille in einer Gletscherspalte verschwand und die verstorben Soldaten erst 8 Tage später gefunden wurden. Nach dieser Tragödie wurde das Rennen erst einmal verboten. Ein paar Jahrzehnte später lebte es jedoch wieder auf und zwar nun nicht nur mehr für Armeeangehörige, sondern es konnte sich jeder, egal ob Breiten- oder Profisportler, anmelden.
Seither wird alle zwei Jahre, unter größtem organisatorischen Aufwand, dieses Rennen vorbereitet und durchgeführt. Nach der pandemiebedingten Absage 2020, starteten 2022 über 1500 Patrouillen in dieses Rennen.
Ich stand zusammen mit Marc und Andi um halb drei in der Früh an der Startlinie. Jahre des Trainings, Tage der Vorbereitung und Stunden der Nervosität machen sich jetzt hoffentlich bezahlt. Ein bisschen aufgeregt bin ich schon, mit solch zwei Raketen, man darf meine zwei Teamkollegen ja schon fast Eliteläufer nennen, zu laufen. Der Startschuss fällt, die ersten knappen 10 Kilometer werden mit den Ski am Rucksack, zu Fuß zurückgelegt, bevor wir nach ungefähr einer Stunde auf Skischuhe und anschließend auf Ski und Schnee wechseln. Kurze Zeit später muss sich jede Patrouille anseilen. Es geht über Gletscher und die Gefahr eines Spaltensturzes besteht. Immer wieder passieren wir Checkpoints der Armee, welche hier oben auf 3000m ganze Zeltstädte errichtet haben. Die Knoten des Seils und das Material wird in größter militärischer Genauigkeit kontrolliert. Alles ok, weiter gehts. Nach drei Stunden erreichen wir den höchsten Punkt des Rennens, den Tete Blanche auf 3600 Meter. Nun folgt eine lange Abfahrt in das Tal von Arolla, welches die Hälfte des Rennens markiert. Von der Aussicht können wir leider nicht viel abgewinnen. Zum einen ist es noch dunkel, zum anderen haben unsere Körper nicht mehr die Energie übrig, sich die doch so schöne Landschaft anzuschauen. Ach, wie sehr wünsche ich mich jetzt auf die Pizzini Hütte mit dem leckeren Cappuccino zurück.
Etwas über 2000 Höhenmeter haben wir bis jetzt in 4 Stunden zurückgelegt. Weitere 2000 Höhenmeter werden folgen. Über das Col Riedmatten und die Rossablanche geht es hinunter nach Verbier. Nach 8 Stunden und 18 Minuten erreichen wir als 8. Patrouille das Ziel. Der Kommandeur der Armee gratuliert und unser ganzes Material wird nochmals abgecheckt. Der militärische Ton schwingt in diesen Tagen immer mit. Doch jetzt habe ich nur noch das Bedürfnis mich hinzulegen und zu schlafen. Die erste Patrouille war über 1,5 Stunden vor uns in Verbier. Doch nun sind wir im Ziel und stolz wie Oscar.
Ich denke mein Gefühl ist jenes, welches meine Gäste an der Pizzini Hütte hatten. Egal ob 100, 1000 oder 4000 Höhenmeter, egal ob 2, 4, oder 10 Stunden. Jeder kann raus aus seiner Komfortzone und sich dieses Gefühl von Stolz holen.
Vielen Dank an Marc Dürr und Andi Mayer für die super Patrouille. Vielen Dank an Michi und all die anderen fürs Verpflegen und Fläschen reichen. Vielen Dank an Scarpa für eure Unterstützung.
Text & Bild: Finn Koch
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