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IM MEKKA DES KLETTERSPORTS - YOSEMITE VALLEY UND EL CAPITAN

In fast dreißig Jahren Klettern bin ich schon ein bisschen herum gekommen. Aber eine Lücke gibt es im Lebenslauf: ich war noch nie im Tal der Täler. An der Wand der Wände. Im Mekka des Klettersports. Im Yosemite Valley und am El Capitan. Jetzt ist es raus.

Ich habe dieses unverzeihliche Versäumnis immer damit begründet, dass ich nie hin wollte. Wegen der Menschenmassen, wegen der Regeln und Permits und Ranger. Das war natürlich eine ignorante Ausrede und während der letzten beiden Coronajahre hat es mich doch gewurmt. Diese Lücke muss geschlossen werden.

Dummerweise bin ich nie wirklich schwer geklettert. Also keine Dawn Wall. Da ich das nicht so Schwere immerhin halbwegs schnell klettern kann und schweres technisches Klettern nun wirklich zu langsam finde, bleibt eigentlich nur ein adäquates Ziel: NIAD.


El Cap speed limit. Schnell, aber nicht zu schnell.
 

Die Nose am El Capitan ist die wohl bekannteste Kletterroute der Welt. Eintausend Meter hoch; nur zehn Minuten von der Straße entfernt. Der größte vertikale Abenteuerspielplatz, den man sich vorstellen kann. Warren Harding gelang 1958 mit seinem Team nach 45 Tagen harter Arbeit der erste Durchstieg. Dabei ist "Arbeit" der richtige Begriff dafür, Ofenbeine in Risse zu hämmern; die heutigen "Stoveleg Cracks". Glücklicherweise war Warren nicht nur ein echter Hardman, sondern nach eigener Aussage richtig gut in Dingen, die "brachiale Dummheit" verlangen.

Wenige Jahre später holte sich Royal Robbins die zweite Begehung der Nose in nur 7 Tagen. Die Stonemasters John Long, Jim Bridwell und Billy Westbay schaften mit Hilfe unermesslicher Flower Power im Jahre 1975 die erste Ein-Tages-Begehung. Übertroffen 1994 durch Lynn Hill mit ihrem ersten frei gekletterten Durchstieg in 23 Stunden. Danach ging das Speedklettern so richtig los und die Begehungszeiten befanden sich im freien Fall. Gebremst nur durch die 1:58:07 von Alex Honnold und Tommy Caldwell 2018, die vielleicht nicht so so schnell unterboten werden. Das sind noch 1% der Zeit der Zweitbegeher.

Freie Begehungen der Nose sind heute immer noch die absolute Ausnahme. Was den Normalsterblichen und unserem schlechten Gewissen, an allem zu ziehen was uns in die Finger gerät, durchaus entgegen kommt. French free nennt sich das. Oder politisch etwas korrekter: A0. Wer hoch kommt hat recht.

Aber während die meisten der mehreren hundert halb-technisch, halb-freien Begehungen pro Jahr um die drei Tage benötigen, hat es sich langsam herumgesprochen, dass es kein Nachteil ist, auf das Hinterherziehen hundert Kilo schwerer Säcke zu verzichten. NIAD - Nose In A Day.
 


Die Pendelquergänge der unteren Längen.

Der Plan war, über den Winter zu trainieren. Vor allem Ausdauer. Aber auch technisch Klettern. Speed-Aiden. Pendelquergänge und Lower-Outs. Ich weiß nicht ob es anderen auch so geht. Aber ich bin wirklich sehr gut darin, Ausreden zu finden was das Training betrifft: Das sind doch nur 31 Seillängen. Als Bergführer und Höhenarbeiter sollte die Seiltechnik eh machbar sein. In Rissen braucht man keine Fingerkraft.

Es ist wirklich bewundernswert, wie manche sich heute anstrengen um morgen etwas zu erreichen. Immerhin: wir haben viel Zeit auf dem Sofa verbracht und auf das Topo gestarrt, kennen jedes Video, alle Forenbeiträge die von jahrelanger Vorbereitung sprechen, sowie die hochauflösenden Bilder der Tour. Auch eine Form von Training. Verlaufen sollten wir uns also nicht.

Die Taktik sah vor, sich erst einmal an den notorisch glatten Yosemite Granit zu gewöhnen. Schließlich sind wir das erste Mal hier und es sind schon ganz andere, bessere Kletterer aus den Rissen geflutscht. Dann ein Dolt-Run um die unteren, technisch komplexen Längen kennenzulernen. Zudem Wasser deponieren, wir wollen ja auf den Haulbag verzichten.

Aber Pläne sind da, um sie über den Haufen zu werfen. Vorgestern sind wir angekommen in it-never-rains-in-southern California. Übermorgen soll es schneien. Schlechtes Wetter bis zum Ende des Vorhersagezeitraumes. Es hilft einfach nicht, jetzt oder nie.

Nun stehe ich hier, nach hinten gebeugt, und frage mich ob wir in einem Tag da hoch kommen, oder dehydriert, entkräftet und mit eingezogenem Schwanz den Rückzug antreten. Die Platten bis zum Sickle Ledge haben wir uns gestern schon angeschaut. Knapp zwei Stunden für vier Seillängen. Das entspricht einer NIAD Zeit von 20 Stunden. Ja, es gibt Pacing-Tabellen wie beim Marathon. Aber vor allem gibt es einen Haufen Fragezeichen: reicht unser Wasser? Wie kalt wird es? Warum sollen 31 Seillängen eigentlich so lange dauern? Und wie zur Hölle benutzt man einen Camhook?Wenn ich die Hosen nicht bereits voll hätte, würde ich mir als Strafe für meine Vorbereitungsfaulheit selbst in den Hintern treten. Wir fühlen uns alles andere als bereit, als wir einsteigen.


Ab in die Ofenbeinrisse.

Die Nose ist technisch gesehen die einfachste Tour am El Capitan. Schwierigkeitsgrad C2. Das bedeutet Clean Aid, ohne Hammer und Hakenschlagen. In Leitern stehen muss man nur in ein paar wenigen Seillängen wie dem bekannten Great Roof oder den Changing Corners. Im Schwierigkeitsgrad 6c könnten 90 % der Tour frei geklettert werden. Könnten, denn mit tausend Metern Luft unter den Füßen und drei Sätzen Cams am Gurt schwinden die Freikletterambitionen der meisten Aspiranten genauso schnell wie die Hoffnung, im Yosemite genauso schwer zu klettern wie daheim.

Schaut man von weitem auf die Wand des El Capitan, sieht diese kompakt und geschlossen aus. Aber irgend jemand hat einmal gesagt, dass es an der Nose möglich ist, von unten bis oben jeden Meter eine Sicherung zu legen.

So viele hat natürlich kaum jemand dabei. The Name of the Game: back-cleanen und crack-jumarn. Wer die unendlichen Splitter - das bedeutet gleichförmig breit - Cracks nicht frei hochfräsen kann, dem sei alles erlaubt, was Auftrieb gibt und Zeit und Material spart: ist das nächste Placement gesetzt, wird das vorherige wieder mitgenommen. Oder man hat gleich in jeder Hand ein Klemmgerät und schiebt diese abwechselnd in den Riss. Stehen drei Exemplare derselben Größe zur Verfügung, ergibt das rein rechnerisch zwei zur Fortbewegung und eines zum Sichern. Optimal. Ein Sturz ist nicht sehr wahrscheinlich, wenn man sich überall festhalten darf. Aber weite runouts sind bei dieser Methode vorprogrammiert.

Das klingt alles recht einfach, schließlich darf freizügig geschummelt werden. Für den geneigten europäischen Freikletterer ist diese Art der gemischt technisch-freien Fortbewegung jedoch gewöhnungsbedürftig.


Suchbild: Boot- und Texas Flake. Noch hängen sie.

Um halbwegs flott unterwegs zu sein, hat sich bei In-A-Day Begehungen eine Technik etabliert, die in unseren Breiten kaum bekannt ist: das shortfixing. Sobald der Vorsteiger am nächsten Standplatz ankommt, zieht er etwa 20 Meter Seil ein und fixiert dieses an den Standhaken. An der Nose im Übrigen durchweg vorbildlich gebohrt. Nun kann der Nachsteiger mit dem cleanen beginnen und steigt mit Steigklemmen am fixierten Seil auf. Der Trick dabei: der Vorsteiger startet direkt durch in die folgende Seillänge - mehr oder weniger gesichert mithilfe der heraufgezogenen 20 Meter Schlappseil.

Je nachdem wo man die Prioritäten beim Mantra 'be safe, have fun, climb fast' setzt, kann dabei ein Sicherungsgerät eingesetzt werden, wie bei einem Solo-Vorstieg. Das macht die Sache vertretbar, aber doch etwas umständlich. Die Variante für echte Nose-In-A-(half)-Day Aspiranten nennt sich 'Pakistani Death Loop'. Benannt nach dem Landsmann, der den Sturz in die Seilschlaufe ohne Zwischensicherungen vor einigen Jahren ausprobiert hat.

Der Vorteil des shortfixing: die Wartezeit am Standplatz wird minimiert. Optimalerweise kommt der Nachsteiger am Stand an, wenn die Schlaufe des Seilersten zu Ende ist und übernimmt die reguläre Sicherung. Dabei kann Material, um nicht ganz so sehr sparen zu müssen, mit der sogenannten tagline zum Vorsteiger hochgezogen werden.

Wer die Herangehensweise des Death Loops halbwegs verrückt findet, dem sei gesagt, dass sich damit alleine keine Rekorde brechen lassen. Um die 1000 Meter der Nose schneller als in Marathon-Bestzeit zu klettern, sind die Honnolds und Caldwells, Potters und Florines zumeist simultan unterwegs. Bewegen sich also gleichzeitig, so wie wir das gerne in leichten Alpinrouten tun. Wenn man sich eben überall festhalten darf, ist die Gefahr zu stürzen nicht ganz so groß.




Dieser Standplatz nennt sich 'the wild stance'. Warum bloß?

Das Yosemite Valley im gleichnamigen Nationalpark ist das Tal der Superlative. Amerikanische Wildnis pur: die höchsten Wände, die größten Bäume und zwischendrin Klapperschlangen und Schwarzbären, die besser klettern können als die meisten Touristen. Von letzteren besuchen etwa vier Millionen jedes Jahr den Park.
 
Ohne radikale Besucherlenkung geht hier gar nichts. Einfahr-Permit, Camping-Permit, Kletter-Permit. Dem Europäer, der kaum Einschränkungen in seiner Bewegungsfreiheit gewohnt ist, kann da Angst und Bange werden. Gerade der berühmt-berüchtigte Kletterer-Campingplatz Camp IV, auf dem in der Hauptsaison Plätze per Lotterie vergeben werden, kann die Planung eines Trips zum Glücksspiel werden lassen. Die Dirtbags von damals sind längst mehr oder weniger outdoorbegeisterten party-people gewichen. Die Stimmung: Anarchie mit einem Hang zur Angst vor dem Ranger, der in den Wald defäkierenden Wildcampern den Garaus macht.
 
Während Lagerfeuer, um die Luftqualität zu verbessern, nur von 19 bis 22 Uhr erlaubt sind, rollt nebenan die V8 Blechlawine durch's Tal. Nirgendwo liegen wilderness und crazyness näher beisammen. Beschweren darf man sich darüber nicht. Denn als Kletterer und vor allem ausländische Besucher, sind wir auch nur ein Teil derer, die ein Stückchen aus der einmaligen Wildnis jenseits der Straße mit nach Hause nehmen möchten. Aber man sollte sich darauf einstellen, denn er steht nun einmal dort, der El Capitan.


Man kann sich im 3000 Quadratkilometer Nationalpark leicht verlaufen.

An der Pancake Flake bäume ich mich ein letztes Mal zu einer Freikletterleistung auf. Gerade mal 5.10b oder 6a ist das. Danach verlasse ich den Aid-Modus nicht mehr, selbst wenn das Topo mit '5.7 fun' lockt. El Cap ist halt doch anders als Halle.

In Camp VI wecken wir mitten in der Nacht einen jungen australischen Sologänger auf. Damit nicht genug, beschere ich ihm mit meiner Performance in den Changing Corners Albträume: ich stottere etwas von fehlendem fixed-gear, von reihenweise camhook-moves an den dünnsten Rissen der gesamten Route. Dass er keine dieser kleinen Wunderwaffen mit sich führt, kann ich nicht wissen; dass man einfach der Bohrhakenleiter der Freiklettervariante folgt, hätte mir aber durchaus auffallen können bevor die Verzweiflung in meiner Stimme hörbar wurde. Wir revanchieren uns mit Internet, um seinen Eltern nach fünf Tagen ein Lebenszeichen zu geben, und einer am Gipfel deponierten Flasche Wasser. Alleine in der Wand, ein Liter Flüssigkeit für den letzten Tag. Es ist für uns unvorstellbar, welch Durchhaltevermögen und Motivation hinter dieser Leistung steckt. Der Australier hingegen kann kaum glauben, dass wir gerade mit kleinem Gepäck unsere erste Tour im Valley klettern.

Als wir am Gipfelbaum ankommen ist es wieder hell. Dass ich diesen abschlage, so als ob wir eine Zeit zu stoppen hätten, ist eher eine sarkastische Geste. Den Tag aus 'in-a-Day' haben wir sehr gut genutzt. Wie so oft nach solchen Touren sind wir erstmal nur froh, dass es fertig ist. Die letzten Längen in der Nacht, die wir komplett in den dicken Daunenjacken geklettert sind, glichen eher einem mechanischem Gezerre und fühlten sich weniger nach Speed an.

Es ist erstaunlich: vor der bekanntesten und wohl am meisten besungenen Kletterroute überhaupt, wussten wir nicht, was wir erwarten sollten. Jetzt, bei der Pizza danach im Curry Village, wissen wir nicht, was wir davon halten sollen.

Wir sind froh, und auch ein klein wenig stolz, dass wir die Nose als erste Tour im Yosemite im rein-und-durch-Stil klettern konnten. Das hat schon was, auch ohne Geschwindigkeitsrekord. Auf der anderen Seite sitzt nun im Hinterkopf, dass die Route, jetzt wo wir sie kennen, wahrscheinlich deutlich schneller ginge. Aber warum? Hat sich unser NIAD Abenteuer nicht mehr nach Akkordarbeit beim Hochschummeln makelloser Risse, als nach Klettern angefühlt? Bleibt der schönste Riss der Welt der schönste Riss der Welt, wenn man daran vorbei steigt?

Es fängt an zu schneien im Tal der Täler. Einen zweiten Speed-Versuch wird es diesmal nicht geben. Aber wir sind uns sicher, dass die Frage wie schnell wir sein könnten, irgendwann zu jucken anfängt. Vielleicht versuchen wir es aber auch einmal mit Camping in der Wand.

"F*#k'em! Rock climbing is so goddamned stupid in the first place - people moralize about it, but people, myself included, do stupid things."

- Warren Harding



Text & Bild: Florian König

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